Abendzeitung
Dieter Stoll

Der Clown bleibt genial

Zwei Tage Begeisterung in Nürnberg für Herman van Veen

25 nov 1988

Jetzt soll bloß keiner mehr behaupten, die Nürnberger seien nicht begeisterungsfähig: Beim zweitägigen Gastspiel von Herman van Veen in der Meistersingerhalle wollte das Publikum auch nach 23 Uhr noch nicht weichen, erjubelte - angemacht und angerührt von der überrumpelnden Präsenz dieses Alleskönners - massenhaft Zugaben. Die letzten beiden fanden schon im Freizeitanzug statt.


Was für ein Abend, was für ein Künstler! Zwar verrechnet sich der flitzende Holländer mal kräftig, wenn er „seit 15 Jahren“ nach Nürnberg gekommen sein will (wer erinnert sich noch: vor 12 Jahren wurde der erste geplante Franken-Auftritt im Fürther Theater abgesagt, weil im Vorverkauf nur 30 Karten bestellt waren!), doch sonst stimmt einfach alles am üppigen Programm. Über dessen Idealbalance von Witz und Poesie, von Sensibilitätstraining und Gaudi haben wir (siehe AZ vom 21.11.) bereits anläßlich des Würzburger Auftritts ausführlich berichtet.

In Nürnberg fiel auf, daß der mindestens so gut tanzende wie singende und wenigstens so intensiv nachdenkende wie blödelnde Entertainer seine Selbstgefährdung wohl erkannt hat. Das lyrische Unterfutter der Liedermacher-Allüre hat zwar in vielen neuen Songs wieder den Hang zur halbseidenen Bedeutsamkeit, doch in der Bühnenshow ist das genial eingebettet in die relativierenden Aktivitäten. Wenn der Sänger den Zeigefinger mal etwas zu steil erhoben hat, zeigt er uns sozusagen anschließend sogleich, daß man damit auch bequem in der Nase bohren kann.

Ein großer Abend des Herman van Veen also, im Tanz-Duett zwischen ihm und seiner eigenen Marionetten-Ver-kleinerung auf einem schier traumhaften Höhepunkt von clowrieskem Wellenritt zwischen Jux, .Emotion und Hintersinn. Kleinkunst im Superformat, die ihre selbstgestellten Ansprüche nie verrät.

Daß sich in dieser Region dafür 4000 (begeisterte!) Zuschauer finden, spricht eben doch ganz entschieden für diese „Kulturlandschaft“ Nürnbergs.



Dieter Stoll